Eine interessante Hörerfahrung — die Oris-Hörner
Im Herbst 2019 bot sich die Gelegenheit, exquisite Schreibgerätehalter in exklusivem Umfeld in Szene zu setzen. Die Aufnahme „Oris-Hörner“ ist im Ausstellungsraum der Hornlautsprecher von Peter Frank bei AES-Kassel entstanden. Während ursprünglich das Fotokonzept im Mittelpunkt stand, musste, das war recht schnell klar, unbedingt auch ein ausführliches Probehören stattfinden. Das Lautsprecherkonzept ist ungewöhnlich und äußerst wirkungsvoll: Hier werden einige der besten Breitbandchassis, die man auf dem Markt finden kann, mit Horntrichtern kombiniert, ergänzt durch eine Tieftonunterstützung für den Bassbereich, was im Gesamten zu einem regelrecht elektrisierenden Klanggewitter führt!
Tang-Band-Chassis treffen Horntrichter
Stifthalter und Hornlautsprecher? Auf den ersten Blick unterschiedlichster Natur, und doch verwandt: In beidem steckt ursprüngliches Handwerk, verbunden mit genauer Abwägung der Funktions- und Designaspekte. Das Besondere an diesen Lautsprechern? Auf den ersten Blick das Offensichtliche — die optische Komponente. Zum anderen: die ausgewählten Lautsprecherprinzipien. Eine Horn-Breitbänder-Kombination sieht (und hört) man selten! Breitbandchassis sind gebaut, um das komplette Spektrum der Musik eigenständig wiedergeben zu können. Zwar kann es bauartbedingt Abstriche beim Tiefton geben, oder in der Art und Weise, wie Höhen in den Raum abgestrahlt werden, aber ihnen ist eine ganz besondere Art zu eigen, Musik abzuspielen – das Klangbild erscheint unglaublich rund und stimmig, gerade im Bereich der — nun ja — Stimme. Ein Horntrichter erhöht den Wirkungsgrad eines Chassis exorbitant; vereinfacht ausgedrückt: er verstärkt den Schall, und die ganze schwingende Mechanik kann viel weiter unter ihren Limits arbeiten als gewöhnlich. Wer selber bereits Berührungspunkte mit dem Hi-Fi-Thema hatte, wird ahnen, warum ich da unbedingt reinhören musste.
Hörner, die den Blick magnetisch anziehen
Ein Hornlautsprecher ist nicht für Menschen geeignet, die Lautsprecher nur als möglichst schmale, kleine Säulen und in die Raumecken verbannt dulden, und am liebsten jedes Detail, das von der Grundform eines Quaders abweicht, mit schwarzem Stoff überspannt wissen wollen. Fotos von solchen Hörnern bringen ihre tatsächliche Wirkung mediumsbedingt einfach nicht rüber, denn es ist ein gewaltiger Unterschied, ob man sie flächig abgebildet sieht, oder dreidimensional und greifbar im Raum vor sich hat. Ein Schritt in den Hörraum, und diese riesigen, ebenmäßigen Trichter ziehen den Blick sofort magnetisch an! Vielleicht liegt es daran, dass wir solche Formen im Alltag oder in der Natur in dieser Größe selten bis gar nicht sehen – einzig die Blüte der Titanenwurz fällt mir ein, und selbst die ist rar – oder dass es sich um eine besonders gefällige Formgebung handelt, man denke an die Blüte des Gartenhibiskus. Vielleicht geht mit dem Anblick der Form auch eine Ahnung dessen einher, was durch diese Geräte folgt, sobald sie aktiviert werden. Die Unterbauten, die den Tieftöner beinhalten, präsentieren die Horntrichter wie auf einer Säule, was ihre Erscheinung nochmals unterstreicht.
„Schön und gut, aber wie klingen sie denn?“
Vielleicht bin ich noch nicht lang genug in der Materie, aber mir fiel es stets schwer, von “luftigen Höhen”, “differenzierten Mitten” oder “Tiefen, die nichts vermissen lassen” zu schreiben. Allerdings kann ich schildern, welche Eindrücke bestimmte Lautsprecher bei mir hinterlassen haben, und wodurch sie im Gedächtnis geblieben sind.
Der Dreh am Lautstärkeregler
Nach kurzem Vorglühen des Röhrenverstärkers folgte ein leichter Dreh am Lautstärkeregler. Es war wie ein Sprung in ein Solebecken – der ganze Raum schien unmittelbar von einem warmen, kräftigen, und vollen Klang aufgefüllt zu sein. Es spielte etwas aus der Hi-Fi-Klassiker-Ecke, sprich: Jazz mit Frauenstimme, aber für einen ersten Höreindruck trotzdem wunderbar geeignet. Von der Schwere oder dem Druck des Wassers in dieser Analogie war nichts zu spüren, der Klang wirkte klar und unaufdringlich. In dieser Preis- oder Qualitätsklasse eigentlich selbstverständlich, aber trotzdem soll es erwähnt sein: es schien, als spielte das Ensemble in unmittelbarer Nähe, als befände man sich im Raum der Aufführung.
Die Qualität der Bühnenabbildung war auffällig. Ich hatte den Eindruck, die Sängerin würde so deutlich verortbar sein, dass ich ihr eine Glasmurmel hätte zuwerfen können. Zwischen mir und den Musikern schienen keine Lautsprecher zu stehen – sie waren regelrecht unsichtbar. Ein Orchester breitete sich wie ein Klangteppich vor dem inneren Auge aus.
Beim ersten Hörtermin hatten mich bei gehobener Laustärke noch die Sibilanten gestört. Beim zweiten Termin war davon nichts mehr zu merken – entweder hatte es an meiner Tagesform gelegen, oder irgendetwas war anders. Da muss ich mal nachforschen. An dieser Stelle sei angemerkt, dass intensive Höhen hier kein Problem wären, denn Lautsprecher mit starker Richtcharakteristik kann man gut auswinkeln, um weniger Hochtonenergie am Hörplatz ankommen zu lassen.
Das geläufige Elektropop-Duo aus der Schweiz wurde auch angespielt, und vertrug sich mit der Anlage ganz wunderbar. Gut zum Testen, denn von verschiedenen Instrumenten und der Bühne, über Hochtonspielereien bis hin zum Tiefbass ist hier das Klangspektrum in beide Richtungen voll abgedeckt. Den Bass empfand ich als weich, und damit als angenehme Ergänzung des runden Klangbilds (das kann aber auch auf den Röhrenverstärker zurückzuführen gewesen sein, darauf habe ich nicht geachtet).
Der Single Malt im Ohrensessel
Der Sweetspot war ungewohnt. Durch das Bündelungsverhalten der Breitbänder und die Horn-Richtcharakteristik ist er klein. Sehr klein! Es kommt also auf das persönliche Hörverhalten an. Wer Beschallung für das tägliche Home Workout braucht und sich viel im Raum bewegt, wird kein gutes Stereobild haben und nicht die höchstmögliche Klangqualität genießen können. Allerdings kommt hier eine andere Sache ins Spiel: Wer ein Workout macht, wird nicht gleichzeitig einen 50-jährigen Single Malt genießen. Diese Lautsprecher spielen in einer Liga, die einen am Sessel festnagelt. Musik hört sich so an, dass man nicht auf die Idee kommt, aufzustehen und etwas nebenbei zu machen – man hört nicht bloß Musik, sondern die Musiker. Man betrachtet nicht das Aufhängen des Bildes, sondern den Maler bei seiner Arbeit und riecht den feuchten Pinsel, der über die Leinwand streicht.
These go to eleven
Bei erhöhter Lautstärke wurde klar, dass hier nach oben noch eine Menge Luft ist. Der Klang war von einer gewissen Mächtigkeit, ohne dabei laut zu wirken. Es gibt so ein Gefühl, das sich einstellt, wenn man kleine bis mittelgroße Lautsprecher mit niedrigem Wirkungsgrad über das Zimmerlautstärkeniveau hebt – es ist zwar laut, aber man spürt zugleich, an einer Art Grenze zu stehen, mit einem unsichtbaren Schild davor: „Nicht weiter aufdrehen, oder es wird grauselig“. Hier gab es diese Grenze nicht.
„Und wenn du nur eine Sache nennen dürftest?“
Die Snare! Kräftige Schläge auf die Snare knallten dem Hörplatz mit der messerscharfen, harten, explosionsartigen Intensität eines Pistolenschusses entgegen, und zwar unabhängig von der Lautstärke! Die ganze Bandbreite dieses Aspektes wurde durch die Taiko ausgespielt, beginnend mit feinstem Trommelwirbel, winzig klein, aber klar und deutlich, bis hin zu gewaltigen Anschlägen, bei der sich die große, schwingende Trommelmembran regelrecht greifbar visualisierte.
„Gefällt mir, aber: spezielle Vorstellungen und lieber Eigenbau“
Das geht – Oris-Hörner gibt es auch als Bausatz, und die Horntrichter können in verschiedenen Farben angefertigt werden. Bei dieser Art des Selbstbaus kommt auch der Vorteil zum Tragen, dass man Gewissheit über das Ergebnis hat. Für Weiteres am besten auf der Homepage vorbeischauen.
Fazit: Gäbe es einen Michelin für Lautsprecher, gäbe ich den Oris-Hörnern drei „Michelin-Ohren“ – sie sind eine Reise wert.